Deutschland und Mali nach dem Truppenabzug – eine Chance für prinzipiengeleitete humanitäre Hilfe?

Autor*in: Andrea Steinke
Datum: 23. Februar 2022

Mit dem angekündigten Rückzug der französischen Truppen aus Mali verändert sich die internationale Gemengelage in dem westafrikanischen Land. Die deutsche Entscheidung über den Verbleib von Bundeswehrsoldat*innen steht nun aus und kann eine Chance sein, nicht zuletzt für prinzipiengeleitete humanitäre Hilfe.

Der Ton aus Bamako ist in der jüngsten Vergangenheit schärfer geworden – an der europäischen Anti-Terror Task Force Takuba beteiligte dänische Truppen sollen das Land verlassen, der französische Botschafter ist vor kurzem des Landes verwiesen worden. Auch für deutsche Soldat*innen sind die Bedingungen ihres Aufenthalts in den letzten Wochen schwieriger geworden: Aufklärungsflüge der Bundeswehr im Rahmen der UN-Mission MINUSMA müssen nun mit 36-stündiger Frist angekündigt werden, ansonsten werden Flugrechte verwehrt.

Die Entscheidung der malischen Militärregierung die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen um fünf Jahre zu verschieben, nimmt Frankreich nun zum Anlass sich militärisch gänzlich aus Mali zurückzuziehen. „Wir können nicht militärisch an der Seite von Machthabern engagiert bleiben, deren Strategie und deren versteckte Ziele wir nicht gutheißen“, verkündet der französische Präsident Macron am 17. Februar. Binnen sechs Monaten werden französische Truppen das Land verlassen. Die malische Militärregierung fordert einen Abzug „ohne Verzögerungen“.

Gleichzeitig rücken andere Akteur*innen ins Rampenlicht. Während die Beauftragung der russischen Militärfirma Gruppe Wagner durch die malische Militärregierung in Europa recht lückenlos für Empörung sorgt, werden in Burkina Faso beim jüngsten Militärputsch der Region im vergangenen Monat auf den Straßen Ouagadougous russische Flaggen geschwenkt. Eins ist klar, die internationale Staatengemeinschaft verhandelt in Mali gerade weitausmehr als nur die Sicherheit Malis.

Im Kontext dieser Ereignisse stellt die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht die weitere Beteiligung der Bundeswehr an den internationalen Einsätzen in Mali in Frage. Auch Außenministerin Baerbock sagte jüngst „Unser Einsatz ist kein Selbstzweck“. Jedoch, diese Kursänderung hat weniger mit einer neuen Bundesregierung zu tun als vielmehr mit Deutschlands engstem europäischen Verbündeten, Frankreich. Zwischen Frankreich und Mali kriselt es schon seit Langem. Die Weichen für die Beendigung der Operation Barkhane sind spätestens seit Mitte letzten Jahres gestellt. Allen voran das koloniale Erbe Frankreichs drückt in Westafrika. Frankreichs andauernde militärische Präsenz in der Sahelregion verliert mehr und mehr an Rückhalt in der Bevölkerung, in der französischen wie auch der westafrikanischen. Frankreich habe Mali nicht an die Jihadisten verloren, sondern an die öffentliche Meinung schreibt Sicherheitsexperte Michael Shurkin.

Die vergangenen neun Jahre internationaler Militärpräsenz haben eines gezeigt: Die Probleme in Mali und der Sahelregion sind allein mit militärischen Mitteln nicht zu lösen. Die zunehmende Militarisierung hat insgesamt nicht zu einer Verbesserung der Sicherheitssituation geführt. Vielmehr befindet sich diese seit einer kurzfristigen Stabilisierung durch das damals noch breiter begrüßte Eingreifen französischer Kampfeinheiten im Rahmen der Operation Serval 2013 in einer Abwärtsspirale. Auf Serval folgten die Einsätze Barkhane und Takuba, beides französisch geführte multinationale Militäroperationen im Anti-Terrorkampf. Neben den G5 Sahel Truppen aus Mali, Niger, Tschad, Mauretanien und Burkina Faso sind sowohl im Rahmen der UN-Mission MINUSMA als auch der europäischen Missionen European Union Training Mission Mali (EUTM) und European Union Capacity Building Mission in Mali (EUCAP Sahel Mali) internationale Sicherheitskräfte vor Ort.

Die deutsche Militärpräsenz beträgt etwa 1400 Soldat*innen, 309 bei EUTM und 1116 bei MINUSMA. Hinzukommen eine Handvoll Polizeiausbilder*innen unter dem Dach von EUCAP Sahel. Im Rahmen der UN-Mission stellt Deutschland das größte europäische Kontigent, während die Mehrzahl der 13.000 MINUSMA Soldat*innen von afrikanischen Staaten gestellt wird. Sie sind es auch die überproportional von tödlichen Angriffen auf die gegenwärtig gefährlichste UN-Mission betroffen sind.

In beiden Kontexten ist die Bundeswehr nicht aktiv an Kampfhandlungen beteiligt, sondern engagiert sich in den Bereichen Ausbildung der malischen Armee und Aufklärung. Eine aktivere Beteiligung war vor allem von Seiten Frankreichs im Rahmen der Task Force Takuba gewünscht. Diese unterstütze Deutschland bisher zwar politisch, aber nicht mit Personal. Nun steht der Truppenabzug des deutschen Militärs zur Debatte. Zumindest für die Beteiligung am EU-Einsatz stehen die Zeichen derzeit auf Rückzug. Ob der Einsatz auch für deutsche UN-Soldat*innen mit dem Auslaufen des Mandates am 31. Mai beendet werden wird, ist fraglich. In Deutschland stellt man sich die Frage wer nach dem Abzug französischer Truppen für die Sicherheit des deutschen Kontingents sorgen soll.

Am 16. März diskutiert der Bundestag weiter über den Einsatz in Mali und damit auch in gewisser Hinsicht über Afghanistan. Seit geraumer Zeit schon ruft die Debatte um Mali Assoziationen um das Debakel des Afghanistanabzugs hervor. Es gibt in der Tat Parallelen: die Art der asymmetrischen Kriegsführung, die hohe Zahl ziviler Opfer, die Gefahr, die auch für truppenstellende Länder ausgeht, und allen voran, der Vorwurf, dass in Afghanistan wie in Mali internationale Truppen einen Anti-Terrorkampf führen, der die Menschen, in deren Land er stattfindet, weitgehend außer Acht lässt. Dennoch, nicht alles was hinkt ist ein Vergleich. Mali ist nicht Afghanistan, ein deutscher Truppenabzug wird nicht die gleichen Bilder produzieren wie jene, die im August 2021 durch die deutschen Medien gingen und weite Teile der Bevölkerung wütend und beschämt machten.

Eine Lehre jedoch sollte die beiden Kontexte in jedem Falle einen: Europäische Bestrebungen Afghanistan „innerhalb kurzer Zeit in einen Staat europäischer Prägung transformieren zu können”, wie sie die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer im letzten Jahr für gescheitert erklärt hat, sind offensichtlich der falsche Ansatz. Gleiches gilt für Mali und auch der gegenwärtig scharfe Wind aus Bamako den europäischen Truppenstellern gegenüber kann in diesem Lichte betrachtet werden.

Deutschland hat in Mali jedoch einen Standortvorteil, der präzise darin besteht, dass Deutschland nicht Frankreich ist. Der deutsche Staat genießt in Mali einiges an Ansehen. Auch deshalb, weil Deutschland im Jahr 1960 als der erste Staat überhaupt die malische Unabhängigkeit von der französischen Kolonialmacht politisch anerkannt hat. Dieses Pfand sollte die Bundesregierung jetzt in die Waagschale werfen und über die amitié franco-allemande hinaus eine klare eigene Sahelstrategie entwickeln, transparent kommunizieren und umsetzen. Als starke humanitäre Geberin würde es der Bundesregierung gut zu Gesicht stehen sich vor allem für humanitäre Belange, prinzipiengeleitete Hilfe und Diplomatie einzusetzen.

Humanitäre Probleme und Lösungen

Denn die humanitäre Situation ist desolat. 6,3 Millionen Menschen benötigen der UN zufolge derzeit humanitärer Hilfe in Mali, 400 000 sind binnenvertrieben. Besonders die Gesundheits- und Bildungsinfrastrukturen sind betroffen und durch die nun ins dritte Jahr gehende Pandemie noch weiter geschwächt. Die Humanitarian Response Pläne sind wie auch in anderen Konfliktregionen seit Jahren chronisch unterfinanziert.

Das Konglomerat verschiedener internationaler Akteurs- und Interessensgruppen macht vor allem humanitären Organisationen ihre Arbeit schwer. Obgleich die UN kein Mandat zur Anti-Terrorbekämpfung haben, beteiligen sie sich durch die Zusammenarbeit mit G5 Sahel und europäischen Truppen durch die Hintertür eben doch indirekt. Das wiederum kompromittiert humanitäre Organisationen, die im Rahmen auch von zivilen Projekten, wie beispielsweise den Quick-Impact-Projekten (QIPs), mit MINUSMA zusammenarbeiten und wird von einigen Teilen der malischen Bevölkerung als interessensgeleite Einmischung und Parteinahme betrachtet. Darüber hinaus war und ist die Wiederherstellung staatlicher Autorität vor allem im Zentrum Malis eines der strategischen Prioritäten des UN-Mandats. Die langanhaltenden und im August 2020 in den ersten Militärputsch kumulierenden Massenproteste vor allem auf den Straßen Bamakos haben jedoch verdeutlicht, dass die Mehrheit der Malier*innen an einer Wiederherstellung der Autorität der alten staatlichen Eliten um den damaligen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta – IBK –  nicht interessiert sind.

In Mali zeigen sich damit auch die Herausforderungen des vernetzen Ansatzes, der verstärkten Zusammenarbeit von internationalen zivilen, polizeilichen und militärischen Akteur*innen in Gewaltkonflikten. Zu gering sei die Kontrolle über die Auswirkungen von Stabilisierungs-, Präventions- und Entwicklungsmaßnahmen im „verhexten Ansatz“, schreibt Sarah Bressan von GPPI. Im Besonderen die Arbeit von humanitären Akteur*innen kann unter dem Schirm von Nexusansätzen je nach Kontext stark in Zielkonflikte geraten. Im Fall von Mali sind es vor allem die Vielzahl von involvierten militärischen Akteur*innen mit teils divergierenden Interessen, die Überlappung von Mandaten und Mängel in der internationalen Koordination, die die Umsetzbarkeit humanitärer Prinzipien zunehmend in Bedrängnis gebracht haben.

Insgesamt ist die humanitäre Arbeit zurzeit nur unter sehr erschwerten Bedingungen möglich, manche Regionen im Zentrum und Norden des Landes sind kaum zugänglich für internationale Hilfsorganisationen. Die International NGO Safety Organisation (INSO) verzeichnet zahlreiche gewaltsame Übergriffe auf humanitäre Helfer*innen. Diese Situation hat sich durch die Ereignisse der letzten Wochen nochmals verschärft. Die malische Übergangsregierung reagierte auf die Sanktionen der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (ECOWAS) ihrerseits mit Grenzschließungen, was wiederum den humanitären Zugang und damit die Versorgung der Bevölkerung weiter in Mitleidenschaft zieht.

Umso wichtiger ist es nun, dass sich die humanitären Akteur*innen besonders in Mali auf ihre Prinzipien der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit berufen, wo sie nur können. Darüber hinaus ist es an der Zeit, dass sie die Reihen schließen und gemeinsam Forderungen für ihre wichtige Arbeit stellen. So haben beispielsweise jüngst 13 internationale NGOs, darunter IRC, NRC, ACF, Oxfam und Care gefordert, dass humanitäre Organisationen von den Sanktionen und ihren Beschränkungen ausgenommen werden.

Darüber hinaus könnten vor allem deutsche humanitäre Akteur*innen die neue deutsche Bundesregierung zum Anlass nehmen, humanitäre Handlungsspielräume zu erweitern und Allianzen vor allem mit der malischen Zivilgesellschaft zu konsolidieren. Das könnte beispielsweise bedeuten, den „Laser-Fokus“ auf Sicherheit, der bisher ein Grundpfeiler der Intervention der internationalen Gemeinschaft war, breiter und ganzheitlicher auf human security auszudehnen und damit noch stärker und vor allem glaubhafter die Interessen der malischen Zivilbevölkerung in den Vordergrund zu stellen.

Im Mai entscheidet der Bundestag über den Abzug oder Verbleib der Bundeswehrsoldat*innen. Vieles deutet gegenwärtig darauf hin, dass der Einsatz – zu mindestens in Teilen – beendet wird. Das muss einem deutschen Engagement aber keinen Abbruch bedeuten, denn das ist nicht zwingend an die Präsenz deutscher Soldat*innen geknüpft. Durch die transparente Unterstützung prinzipiengeleiteter humanitärer Hilfe wäre den Malier*innen wohl am besten geholfen.

Andrea Steinke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centre for Humanitarian Action (CHA). Sie leitet das Forschungsprojekt zu Klimawandel und Humanitäre Hilfe und zum Humanitarian-Development-Peace-Nexus, in dessen Rahmen sie die Publikation “The Triple Nexus in Mali” veröffentlicht hat.

Hinterlassen Sie einen Kommentar