Wo steht die deutsche humanitäre Hilfe?

Autor*in: Ralf Südhoff und Sonja Hövelmann
Datum: 08.03.2019
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Statement (EN)

Das CHA ist als Sachverständiger für eine öffentliche Anhörung im Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ernannt worden. Im Vorfeld der Anhörung reichten alle Sachverständige Stellungnahmen zum jüngsten Vierjahresbericht der Bundesregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland ein.

Deutschland hat sich mittlerweile als zweitgrößter Geberstaat positioniert, was angesichts einer rasant wachsenden Zahl an Menschen in Not von extrem großen Wert ist. Jedoch hat Deutschlands finanzielles Engagement nicht Schritt gehalten mit der Ausweitung seiner politischen und strategischen Kapazitäten. Personalmangel wie auch strukturelle Probleme verhindern, dass Deutschland sein Potenzial als führender humanitärer Akteur voll entfalten kann.

Zusammenfassung und Empfehlungen des CHA:

1. Die humanitäre Hilfe der Bundesregierung ist in beeindruckendem Tempo in neue Dimensionen vorgestoßen. Dies ist von extrem großem Wert in Zeiten einer rasant wachsenden Zahl von Menschen in Not und einer mehr als Verzehnfachung des globalen Bedarfs an humanitärer Hilfe seit Beginn der 2000er Jahre

2. Seit dem Kalten Krieg wurden das Humanitäre System international selten so kontrovers diskutiert und die humanitären Prinzipien so missachtet und unterminiert wie heute. Umso wichtiger ist es für den neuen Top-Geber Deutschland, seine gewachsenen Mittel prinzipienorientiert, effektiv, strategisch und transparent einzusetzen und seine internationalen Einflussmöglichkeiten in dieser Richtung geltend zu machen. Hier gibt es aus Sicht des CHA teils große Fortschritte, teils akuten Handlungsbedarf. 

3.Konzeptionelle, strategische und personelle Kapazitäten der deutschen humanitären Hilfe wurden deutlich ausgebaut, konnten mit dem finanziellen Aufwuchs und Deutschlands neuer Rolle aber nicht Schritt halten. Die Setzung klarer inhaltlicher Prioritäten und personelle Investitionen im Auswärtigen Amt und den Botschaften vor Ort sind notwendig und dringend. Auch deutschen Hilfsorganisationen mangelt es weiter vielfach an Kapazitäten und Know-how in Grundsatzfragen der humanitären Hilfe; der zuständige Bundestagsausschuss vernachlässigt das Thema bis heute.

4. Deutschland hat in der humanitären Hilfe aus migrationspolitischen Gründen einen klaren Schwerpunkt auf die Syrienkrise gelegt. Diese Vermischung humanitärer und politischer Faktoren führtejedoch insgesamt nicht zu einer nachweisbaren überproportionalen Förderung der Syrienkrise im Geberkonzert. Kleinere „vergessene Krisen“ sind aber trotz Fortschritten in ihrer Förderung weiter eine Herausforderung auch für die deutsche humanitäre Hilfe.

5. Eine beachtliche Verstetigung des Budgets für humanitäre Hilfe ist erreicht worden. Dies sollte dazu genutzt werden, auch die Planbarkeit und Flexibilität für Partner durch noch verstärkte mehrjährige Förderungen von Programmen und mehr zweckungebunden vergebenen Mittel weiter zu erhöhen.

6. Der Anteil der humanitären Hilfe am gesamten ODA-Budget der Bundesregierung ist gestiegen, im internationalen Vergleich aber weiterhin relativ niedrig. Die Bundesregierung sollte angesichts der dramatisch gestiegenen Bedarfe auch eine Mittel-Verschiebung zugunsten der humanitären Hilfe innerhalb des Bundeshaushalts prüfen. 

7. Eine wichtige deutsche Priorität sollte die Herausforderung des Shrinking Space für humanitäre Hilfe sein. Deutschland werden hier Alleinstellungsmerkmale und das Potential eines „ehrlichen Maklers“ zugesprochen, das aber nur bedingt ausgeschöpft wird. Zudem erscheinen Kapazitäten und Engagement etwa im Bereich der „Humanitären Diplomatie“ ausbaufähig.

8. Deutschlands Engagement für die Verteidigung der humanitären Hilfe und ihrer Prinzipien ist nicht zu trennen von einer insgesamt kohärent humanitären Prinzipien folgenden Politik der Bundesregierung. Diese ist zu hinterfragen etwa mit Blick auf die deutsche Rüstungsexportpolitik im Zusammehang mit humanitären Krisen wie im Jemen oder die ausbleibende Seenotrettung Schiffbrüchiger im Mittelmeer.

9. Mit Blick auf ihre humanitären Partner setzt die Bundesregierung zu Recht auf das Kriterium der Fähigkeiten von Partnern vs. ihrer Nationalität oder Institutionalität (zB bi-/ multilaterale Institutionen). Die gestiegenen Zuwendungen an flexible Fonds wie CERF und Country-based Pooled Funds sollten weiter ausgebaut werden.     

10. Die Anstrengungen zur Lokalisierung der deutschen Hilfe haben quantitativ große Fortschritte gezeigt, sollten qualitativ aber deutlich vorangetrieben werden im Sinne eines echten capacity Aufbaus vor Ort. 

11. Ein Wandel auch der humanitären deutschen Hilfe von einer Output zu einer Outcome Orientierung erscheint geboten, um ihre operative und strategische Wirkung besser zu erfassen und sicherzustellen. 

12. Verstärkte Wirkungsanalysen und Evaluierungskapazitäten könnten es der Bundesregierung erlauben, transparentere, begründete Kriterien für die Vergabe und Bewertung der deutschen humanitären Hilfe zu entwickeln. Sie sollten die Basis bilden des nächsten Berichts zur humanitären Hilfe der Bundesregierung. Eine häufigere Berichterstattung im Vergleich zu den aktuellen Vierjahres-Berichten wäre sehr zu begrüßen.

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